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23. FSS Security Talk | Hybride Kriegsführung - Wie schützen wir unseren Informationsraum?

Der 23. FSS Security Talk des Forum Sicherheit Schweiz widmete sich einem der zentralen sicherheitspolitischen Themen unserer Zeit: der gezielten Beeinflussung von Wahrnehmung, Wissen und öffentlicher Meinung. In einer zunehmend digitalisierten Welt wird nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern im Informationsraum um Einfluss und Deutungshoheit gerungen. Desinformation, algorithmisch verstärkte Echokammern und psychologische Einflussnahme sind zu strategischen Instrumenten geworden, die Demokratien vor neue Herausforderungen stellen.

Dr. Jean-Marc Rickli, Head of Global and Emerging Risks am Geneva Centre for Security Policy, führte in die Dynamiken der kognitiven Kriegsführung ein. Mit der Verbreitung digitaler und kognitiver Technologien, so Rickli, werde das menschliche Denken selbst zum Schlachtfeld. Kognitive Kriegsführung gehe über die klassische Informationskriegsführung hinaus: Sie wolle nicht bloss den Informationsfluss kontrollieren, sondern Wahrnehmung und Entscheidungsprozesse direkt beeinflussen. Aktuell erlebten wir einen perfekten Sturm aus technologischem Fortschritt und einer «epistemischen Krise», in der sich die Grundlagen gemeinsamer Wahrheit auflösen und alternative Fakten ganze Weltbilder formen. Der über Jahrhunderte und Generationen gültige Gesellschaftsvertrag zwischen Bürger:innen, dem Staat und seinen Institutionen basierte auf gegenseitigem Vertrauen. Doch im heutigen Internet- und KI-Zeitalter werden für die Menschheit grundlegende Werte wie wissenschaftliches Denken, Fakten, Rationalismus und kritisches Denken zusehends verdrängt. Diese Entwicklung sei gewollt, denn hybride Kriegsführung verfolge ein klares Ziel: Das Vertrauen in die Medien, staatliche Institutionen und die Gesellschaft zu untergraben und zu zerstören. Für westliche Demokratien und offene Gesellschaften sei diese Entwicklung existenzbedrohend.

Larissa M. Bieler, Direktorin von SWI swissinfo.ch, beleuchtete in ihrem Beitrag die Rolle der Medien als Schutzschild gegen Fremddeutung und Desinformation. Schweizer Medien böten mit ihrer Vielfalt, Mehrsprachigkeit und hohen journalistischen Qualität ein wichtiges Gegengewicht zu orchestrierten Desinformationskampagnen und propagandistischen Auslandsmedien. Doch auch sie stünden vor wachsenden Herausforderungen: Polarisierung, Plattformisierung und die Dominanz globaler Technologiekonzerne gefährden den öffentlichen Diskurs. Anhand von mehreren Beispielen zeigte sie praktisch auf, wie ausländische Medien gezielte Falschinformationen und negative Berichte und Narrative über Schweizer Politiker:innen verbreiteten. Verstärkt werde dies durch eine wachsende «news fatigue» – eine zunehmende Informationsmüdigkeit. Umso wichtiger seien Investitionen in die Medienkompetenz der Bevölkerung, eine nachhaltige und unabhängige Finanzierung der Medien und klare rechtliche Rahmenbedingungen sowie internationale Kooperation.

Prof. Dr. Mark Eisenegger, Direktor des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) an der Universität Zürich, zeigte auf, dass die Schweiz im internationalen Vergleich zwar relativ resilient gegenüber Falschinformationen sei, das eigentliche Risiko jedoch in der sogenannten News-Deprivation liege – also in der abnehmenden Nutzung bzw. Nichtnutzung journalistischer Nachrichten. Inzwischen würden sich nur noch 46 % der Bevölkerung via klassische Medien (Print- und Onlinezeitungen, Radio, TV) informieren. Diese fatale Entwicklung habe gravierende Folgen für Wissen, politische Teilhabe und gesellschaftlichen Gemeinsinn. Während Misinformation in der Wahrnehmung der Bevölkerung als grösseres Problem erscheine, zeigten empirische Daten jedoch, dass die tatsächliche Exposition gegenüber Falschinformationen in der Schweiz vergleichsweise gering sei. Grund dafür seien unter anderem gesellschaftliche Kontextfaktoren wie die tiefe Polarisierung, ein (noch) starkes Mediensystem und eine ausgeprägte soziale Kontrolle. Dennoch verschärften technologische Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz die Herausforderungen sowohl für Medien als auch für Konsumentinnen und Konsumenten.

In der anschliessenden Paneldiskussion mit Prof. Dr. Anna Jobin (Universität Freiburg, Präsidentin EMEK), Lukas Mäder(Redaktor Technologie & Geopolitik, NZZ), Larissa Bieler, Prof.  Dr. Mark Eisenegger und Dr. Jean-Marc Rickli wurden die verschiedenen Perspektiven vertieft.

Prof. Dr. Anna Jobin hob hervor, dass Vertrauen die entscheidende «Währung» im Informationsraum sei. Vertrauen könne man sich nicht kaufen, aber verdienen – durch Transparenz, Verantwortung und glaubwürdige Kommunikationskanäle. Sie betonte, wie wichtig es sei, über vertrauenswürdige Informationskanäle zu verfügen, insbesondere in einer Zeit, in der digitale Plattformen die Informationsflüsse kontrollieren. Big Tech verfüge zudem über das Wissen, welche Inhalte wie verbreitet werden, und könne auch KI-generierte Beiträge oder orchestrierte Desinformationskampagnen erkennen und steuern. Dennoch entziehen sich die allermeisten dieser Unternehmen in der Schweiz der rechtlichen Verantwortung. Jobin forderte deshalb, Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen: Sie müssten in der Schweiz ansprechbar und juristisch belangbar sein. Weiter forderte sie mehr Transparenz und eine vertiefte Risikoabwägung seitens der Plattformen. Nur so könne demokratische Kontrolle über den digitalen Informationsraum gestärkt werden.

Lukas Mäder unterstrich, dass kritisches Denken – auch aus journalistischer Sicht – eine Schlüsselkompetenz sei. Quellenkritik gewinne angesichts der Informationsflut und algorithmisch verstärkter Narrative zunehmend an Bedeutung. Mäder wies darauf hin, dass Desinformation heute oft über reine Falschmeldungen hinausgehe: Staatlich orchestrierte Akteure erzeugten zunehmend auch tatsächliche Ereignisse oder Fakten, um gezielt öffentliche Meinungen zu beeinflussen. Diese Entwicklung stelle den Journalismus vor grosse Herausforderungen, da sie eine vertiefte Analysekompetenz erfordere - während gleichzeitig ein hohes Tempo in der Berichterstattung verlangt wird. Auch er forderte, Plattformen stärker in die Verantwortung zu nehmen – sie könnten Aktivitäten von staatlichen Akteuren erkennen und müssten verpflichtet werden, entsprechende Gegenmassnahmen zu ergreifen. Zudem hätten Medien weniger ein Qualitäts- als vielmehr ein Reichweitenproblem: Wie vertrauenswürdige Medien wieder grössere Teile der Bevölkerung erreichen können, bleibe eine offene und entscheidende Frage.

Larissa Bieler betonte ergänzend, dass das zentrale Problem weniger in der Menge der Desinformation, sondern in der sinkenden Reichweite verlässlicher Information liege. Auch sie betonte die Verantwortung von digitalen Plattformen. Digitale Plattformen hätten keine redaktionelle Verantwortung und trügen wenig dazu bei, dass qualitativ hochwertiger Journalismus tatsächlich sichtbar bleibe. Medienkompetenz bedeute letztlich kritisches Denken – das bewusste Hinterfragen des Absenders, der Intention und des Kontexts von Informationen.

Prof. Dr. Mark Eisenegger lenkte den Fokus schliesslich auf die gesellschaftliche Dimension der News-Deprivation. Das Phänomen betreffe längst nicht mehr nur jüngere Generationen, sondern breite Bevölkerungsschichten. Viele fühlten sich durch die Informationsflut überfordert, andere wünschten sich «konstruktiveren Journalismus», der stärker lösungsorientiert berichtet. Entscheidend sei jedoch, das politische Interesse und die Verbundenheit mit dem Gemeinwesen zu fördern – wer sich für Demokratie und Gesellschaft interessiert, informiere sich auch wieder stärker aus journalistischen Quellen. Damit könne langfristig die Resilienz gegenüber Desinformation gestärkt werden.

Dr. Jean-Marc Rickli ergänzte im Panel die technologische Perspektive: Technologie liefere immer neue Möglichkeiten, um Denken und Handeln von Menschen gezielt zu beeinflussen. Bereits heute beeinflussten alltägliche digitale Tools – etwa Fitnesstracker und EarPods– das Verhalten und sammelten riesige Mengen an Nutzerdaten, die in Zukunft auch missbraucht werden könnten, um Verhalten gezielt zu steuern. Kritisches Denken sei zwar eine notwendige Massnahme, doch müsse man sich auch der Frage stellen, was passiert, wenn technologische Beeinflussung so weit fortschreitet, dass der Impuls zum kritischen Denken selbst ausgeschaltet werden könnte. Diese Überlegungen verdeutlichen die Dringlichkeit, technologische Entwicklungen in sicherheitspolitische und gesellschaftliche Diskussionen aktiv einzubeziehen.

Der FSS Security Talk zeigte eindrucksvoll, dass der Schutz des Informationsraums keine rein technische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Er beginnt bei glaubwürdigen Institutionen, starken Medien und einer informierten, kritisch denkenden Bevölkerung. Techunternehmen und Plattformen müssen endlich Verantwortung übernehmen, Medien Vertrauen schaffen, und Bürgerinnen und Bürger ihre Informationskompetenz möglichst beibehalten bzw. weiterentwickeln. Nur so kann die Schweiz ihre demokratische Resilienz auch in Zeiten hybrider Bedrohungen wahren.

Das FORUM SICHERHEIT SCHWEIZ (FSS) blickt auf eine erfolgreiche Veranstaltung mit ca. 80 interessierten Gästen zurück und bedankt sich bei allen Anwesenden für ihre Teilnahme.

Ausgewählte Kurzstatements unserer Speaker:innen und ein Videozusammenschnitt zum Anlass folgen nächste Woche.

Das Programm zum Talk finden Sie hier.

Fotogalerie:

(Fotografin: Monika Flückiger)

FORUM SICHERHEIT SCHWEIZ (FSS)

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